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Der Tod, das muss ein Wiener sein

Aktualisiert: 2. Aug. 2019

Es sind Massen an Daten, Informationen, persönlichen Eindrücken und biographischen Ausschnitten, die im Zuge der Recherche für Ungebetene Gäste zusammengetragen worden sind. Viele Stunden wurden mit dem Verfolgen von Spuren verbracht und viele Stunden habe ich versucht, biographische Bilder aus diesen Fragmenten entstehen zu lassen. Es ist eine überaus spannende Aufgabe, in diese, nicht meine, Welten einzutauchen. Spannend und unwirklich. Diese Landschaften an Lebenswelten, die sich bei den Recherchen erschlossen haben, sind die von Toten. Tote, die noch lebten, als ich mich entschieden hatte, bei diesem Projekt mitwirken zu wollen. Das waren Menschen, deren Biographien nicht durch bestimmte Leistungen oder Besonderheiten glänzen. Es sind keine Berühmtheiten, keine Fußnoten zeitgeschichtlicher Relevanz oder gar Bekannte von mir oder irgendjemanden des Teams.


Nichtsdestotrotz lache und leide ich mit den teils spärlichen, teils reichlichen Referenzen ihrer Lebensgeschichten.


Weil es die meiner Nachbarn waren. Gut, die junge, laute Familie zu meiner rechten Wohnungsseite lebt noch, und auch der grantige, ältere Herr zu meiner rechten erfreut sich bester Gesundheit. Aber die Schicksale, von denen Ungebetene Gäste erzählt, sind die der Menschen, die einem tagtäglich in Wien über den Weg laufen, oder nunmehr gelaufen sind.


Das ist die pensionierte Kellnerin aus Brigittenau. Das ist der Bauarbeiter von der Quellenstraße oder die nörgelnde Raucherin aus dem Türkenschanzpark. Und so viele weitere Wiener. Dies mitbedenkend, taucht, noch vor meinem Eindringen in diese fremden (Ab-)Leben, dieser wienerische, ureigene Umgang mit dem Tod im inneren Auge und Gehörgang auf.


Und ich beginne meine eigene, kleine Recherche.





Der Tod, das muss ein Wiener sein, heißt es, denn nur er trifft den richtigen Ton. Diesem wird voraus gesungen: Es wird a Wein sein, und wir wern nimmer sein!, und herbei gesungen: wanns dann aus wird sein, dann pack mas mitm Schmäh. Mia saufn uns ins Grab. Weu mia san kane Weh. und nachgesungen. Weil weinselig wird in Wien gestorben, außerdem pompös: Wenn i amal stirb, müssn mi d’Fiaker tragen und dabei Zithern schlagen.


Das Ablebensziel ist es, a scheene Leich zu sein. Und selbst an der letzten Stätte ist von Ruhe keine Rede, weil am Friedhof is' Stimmung, wia's sei Lebtoch no net wor.


Ich schwelg' im Rausch des letzten Abschieds.


Aber meine eigene Recherche hinter mir lassend, konzentriere ich mich wieder auf unsere Protagonistinnen. Die Realität zeigt sich dann doch ganz anders. Anstatt des beschwingten Abtretens ist es hier, wie mein Kollege schon beschrieben hat: „Gleich kommt ein Mensch für immer unter die Erde, niemand taucht auf.“ (https://www.darum.at/post/diedunkleseitedesmondes) Denn eine Tatsache eint unsere Protagonistinnen: das einsame Begräbnis. Der Pfarrer, die Totengräber und sie selbst. Das war's.

Mit dieser Vorstellung im Kopf ist mein inneres Auge beim Rekonstruieren jener Lebensentwürfe mit ganz andere Bildern konfrontiert. Ich denk an lähmende Einsamkeit, an pochende Unzufriedenheit und an schmerzliche Unerfülltheit. Das einsame Begräbnis überschattet das Leben des Toten. Kurz: Ich kämpfe mit einem Klischee, mit dem wohl jede zu kämpfen hat, die sich mit einsamen Begräbnissen auseinandersetzt. Und soweit kann ich verraten, diese Vorstellungen werden auch bestätigt.


Aber umso intensiver ich mich in diese, nicht meine, Welten hinein wühle, desto mehr entsteht der Eindruck, dass es natürlich nicht nur die eine Seite gibt. Ich lese von Kochabenden mit Freundinnen, ich besuche eine Konditorei, deren Torte eine Protagonistin empfohlen hat und ich lerne, welchem Autohersteller ich mein Vertrauen schenken kann. Die unangenehme Vorstellung, alleine begraben zu werden, hat mich vergessen lassen, dass deswegen nicht unglücklich gelebt werden musste. Das einsame Begräbnis lässt mich aber auch nicht vergessen, dass der letzte Weg doch allein geführt wurde. Aber der alleinige, letzte Weg muss ja keine Einsamkeit im Leben bedeuten?


Doch passenderweise reißt mich abermals das Wiener Lied aus den Gedanken und egalisiert: Was nützt alles Denken, es gibt nur den Schluss. - Es kommt schließlich alles, wie kommen es muss.


Ungebetene Gäste wird den Spagat zwischen Leben und Tod wagen und sich ausgehend vom einsamen Begräbnis auf eine spannende Spurensuche begeben. Ich freue mich schon sehr auf das Ergebnis.

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